Montag, 5. Oktober 2020

historisches Erzählen ohne Opfer-Täter-Reduktionen

Unsere Schulzeit war noch von den gemischten Schuldgefühlen beladen:
  • Die unbewussten Schuldgefühle der Nazis, die eine Normalität nach einer "dunklen Zeit" wieder herstellen wollten und alle Beteiligungen verschwiegen,
  • Die Schuldgefühle der schweigenden Mitläufer, die zwar wussten, aber nicht erinnern wollten, wenn es nicht grade wie ein Trauma aus ihnen heraus brach
  • Die Schuldgefühle der Verfolgten, die nicht hatten verhindern können ...
und allen gemeinsam, alle Themen zu umgehen, die für Klärung hätten sorgen können.

Der Eiertanz der Geschichtslehrer, die sich - wie vom Studium gewohnt - auf die Geschichte der Herrschenden und der Macht der Parteien zurück zogen, denn die Geschichte der Beherrschten wurde erst in den Geschichtswerkstätten der 1980er Jahre "erfunden":

Natürlich hatte es immer Projekte gegeben, die von den Bauern- und Weber-Aufständen berichteten, aber eine gemeinschaftliche Erforschung der Quellen vor Ort verbreitete sich - wie auch eine Fachzeitschrift - erst dann.

Scham und Schuld als Methode  

Stephan Marks hatte in Freiburg bei einer Jahres-Tagung der Zukunftswerkstatt-Moderierenden die Methode der Scham im "3. Reich" mit der Verknüpfung zum "Schand-Frieden" von Versailles sehr anschaulich gemacht: 

Das Einreden von Schande führt zur Scham, die erst mal handlungs-unfähig macht.

Die Scham verhinderte die Auseinandersetzung mit den Ereignissen, die immer nur in Bruchstücken herausbrechen: 

gibt es im Kreuzgang der Stiftskirche eine Kapelle, die den sieben Getöteten der Auseinandersetzungen um die Übergabe der Städte Alt- und Neuötting an die Amerikaner am 28. April 1945 gewidmet ist:

Die Nazis hatten noch die Innbrücke in Neuötting sprengen lassen, um die "Alpenfestung" hier zu verteidigen, und wache Bürger versuchten, die Beschießung und Bombardierung der Städte zu verhindern. 

Zeichen der Übergabe wie "Licht in den Fenstern" (nach der Verdunklung) und Glockenläuten wurde durch Ermordung von Verantwortlichen verhindert. 

Gesprochen werden konnte nur über Leute, die tot waren oder gerichtlich verurteilt, denn die alten Hierarchien in den Ämtern waren nach dem Ende der [[Entnazifizierung]] 1950 wieder "in Amt und Würden".

So erfuhr ich erst mit 50, als ich in Akten des Hauptstaatsarchiv München arbeitete, von der Geschichte der wichtigsten Nazis in Altötting, die ein anonym bleibender Mensch in Volkshochschul-Englisch für die Amerikaner getippt hatte.


Marks, StephanScham – die tabuisierte Emotion, Düsseldorf. 3. 2011

Hier ist die Einladung archiviert, und hier startet das Protokoll der Ergebnisse mit vielen Fotos, vielen passenden Zitaten, mit weiteren Hintergrund-Texten


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